Zentimeter um Zentimeter, dicht an dicht umsäumen grüne, orangene und violette Stoffstreifen den glänzendkalten Draht. Allein die Stacheln stechen wie Strahlen klar und brutal immer wieder aus der Stoffummantelung hervor. Verteilt im Raum formen die stählernen Farbknäuel eine weite grüne Gartenlandschaft, in der violette und orangene Felder ab und an hervorsprießen. Dazwischen erstrecken sich rund und geometrisch rostende Becken wie Seen in der weiten, verdorrten Ebene. Über ihr zieht der süßherbe Duft von verbranntem Imphepho. Rhythmisch, leise und gedämpft, schnalzend, klickend und klackend erklingen Worte, die auf isiXhosa den nächtlichen Traum noch schlaftrunken zu beschreiben versuchen.
In Tending to the harvest of dreams stellt die südafrikanische Künstlerin Lungiswa Gqunta 30 Jahre nach dem vermeintlichen Ende der Apartheid die Frage nach dem Fortwirken des Kolonialismus. Wie kann man an den eigenen Umgang mit Natur, an jahrhundertealte Traditionen und Wissen, das in einem liegt, aber nur in Träumen zu einem spricht, anknüpfen? Wie lässt sich die eigene Identität, die Schritt für Schritt auch durch Landnahme entzogen worden ist, finden und weiterführen?
Die Gewalt, die in der Arbeit erst bei näherer Betrachtung hervorbirst, dringt wie der Geruch und die Wirkung von Imphepho langsam und subtil in uns ein und verlässt uns nicht. Der Stacheldraht schränkt unsere Bewegung ein und lässt uns nachempfinden, wie es ist, an einem Ort zu sein, an dem man sich unbeschwert fühlen könnte, aber kein Recht dazu hat. Diese Orte nach jahrhundertelanger kolonialer Prägung und Gewalt zu verändern, ist schwierig. Zwei Drittel des Landes sind immer noch im Besitz der weißen Bevölkerung. 90 Prozent des Reichtums verteilen sich auf 10 Prozent der Bevölkerung. In einem Land, das so reich an Bodenschätzen ist, ist die Landfrage zentral und sind die Forderungen nach Restitution allgegenwärtig.
Erstmals in der Geschichte des Stacheldrahts, die mit der kolonialen Eroberung des Westens Nordamerikas, der Prärie und der systematischen Vertreibung der Indigenen Bevölkerung begann (der Homestead Act), wurde er im Zweiten Burenkrieg von den Briten militärisch eingesetzt. Gespannt zwischen schnell errichteten Blockhäusern konnten so strategische Punkte wie Eisenbahnschienen geschützt und die Bur*innen massiv in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden. Auch die in der Folge errichteten Konzentrationslager für die inhaftierte Bevölkerung wurden mit Stacheldraht gesichert. Während der Apartheid diente der Stacheldraht zur Durchsetzung der Segregation. Bis heute prägt der Stacheldraht die südafrikanische Landschaft genauso wie die unzähligen kolonialen Gärten und Parks, die sich über das ganze Land erstrecken: Kirstenbosch National Botanical Garden, Company’s Garden, Brenthurst Gardens, um nur einige wenige zu nennen. Trotz des immensen Pflanzenreichtums von Südafrika – hier gibt es die meisten endemischen, das heißt nur dort vorkommenden Pflanzenarten der Welt – führten Niederländer*innen und Brit*innen „heimische“ Pflanzen ein und formten die eroberte Landschaft nach ihren Vorstellungen.
Gepflanzt und gepflegt werden die Gärten und Parks bis heute vornehmlich von Schwarzen Südafrikaner*innen, denen es während der Apartheid verboten war, diese zu besuchen. „Sie lassen diesen Gärten ihre Fürsorge und Liebe angedeihen, obwohl ihnen beides in diesen Landschaften der Unterdrückung und Ausbeutung versagt bleibt“, so die Künstlerin. Hecken, Mauern, Zäune und Drähte begrenzen auch gegenwärtig die Gärten, Parks und ganze Landschaften. „An Parks, Gärten und öffentlichen Erholungsräumen lässt sich gut beobachten, wie strukturelle Segregation funktioniert. [...] Es mag verrückt klingen, aber der Zustand des Rasens ist ein zuverlässiger Gradmesser dafür, wie die Menschen in der Umgebung behandelt werden und wie ‚begehrt‘ ein Stadtteil ist“, beschreibt Lungiswa Gqunta. „Man braucht sich in Kapstadt nur umzusehen, überall stößt man auf diese kolonialen Landschaften. Es beschleicht einen das Gefühl, am falschen Ort zu sein oder auf manchmal offensichtliche, manchmal kaum merkliche Weise beobachtet zu werden. [...] Ich versuche, diese Orte – ich weiß nicht, ob zurückfordern das richtige Wort dafür ist. Eher will ich mich zu einem Ort, von dem ich entfremdet wurde, so als wäre er nichts für mich, wieder in Beziehung setzen.“
Die Ausstellung wird gefördert durch
Stiftung Stark für Gegenwartskunst